Wolfgang Rihm, der letzte Romantiker, verstorben im Alter von 72 Jahren

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Wolfgang Rihm, der letzte Romantiker, verstorben im Alter von 72 Jahren

Die Musikwelt trauert um Wolfgang Rihm, einen der bedeutendsten Komponisten der Gegenwart. Der deutsche Tondichter ist am Montag im Alter von 72 Jahren verstorben. Rihm, der oft als der letzte Romantiker bezeichnet wurde, hinterlässt ein umfangreiches Werk, das von Opern über Orchesterwerke bis hin zu Kammermusik reicht. Seine Musik zeichnet sich durch ihre expressiven Klangfarben und ihre tiefgründige Emotionalität aus. Rihm war nicht nur ein wichtiger Vertreter der neuen Musik, sondern auch ein engagierter Musikpädagoge und -forscher. Sein Tod bedeutet einen großen Verlust für die Musikszene.

Der letzte Romantiker: Wolfgang Rihm verstorben im Alter von 72 Jahren

Er konnte einen auf Glatteis führen, foppen, hinters Licht führen – wenn er vor unseren Ohren mit Musik spielte, mit Anspielungen, Zitaten und geborgten Klängen. Manchmal hielt er uns Zückerchen hin und testete unser Assoziationsvermögen. Der Komponist Wolfgang Rihm war ein geistig extrem fordernder Zeitgenosse. Man war seinem Intellekt nicht immer gewachsen. Doch wenn man einen Test bestand, fühlte man sich königlich.

Sein „Konzert in G“ ist so ein Praxis- und Theorietest. Es steht gar nicht in G-Dur, sondern man muss das G auf Italienisch lesen: „Concerto in Sol“. Dieses Sol ist sozusagen die fünfte Stufe eines früheren und in vielen Sprachen noch heute üblichen Tonsystems: Do Re Mi Fa Sol La Si Do. Aber Sol steht auch für die argentinische Cellistin Sol Gabetta. Sie hat das Opus uraufgeführt, und sie drängt sich mit ihrem allerersten Ton in einen Spalt, den ihr zuvor das Horn öffnete, das die Töne Fis und Gis spielt – dazwischen liegt das G, das Sol. Das ist ein Trick, den man nur begreift, wenn man die Noten vor sich hat. Aber dann ist es köstlich. Ein echter Rihm.

Ein Leben für die Musik

Ein Leben für die Musik

Wolfgang Rihm ist jetzt im Alter von 72 Jahren in Ettlingen bei Karlsruhe gestorben, in seiner Heimat also, die ihm immer der Ort des größten Vergnügens und der höchsten Beruhigung war. Er brauchte diese Rückzugsmöglichkeit, weil er halt so sagenhaft produktiv war. Er zählte zu den meistgespielten zeitgenössischen Komponisten Europas. Rihm hinterlässt ein Schaffen von weit mehr als 500 Werken, darunter Opern und große Orchesterwerke, Kammermusik, Musiktheater und Vokalstücke.

Seinen Durchbruch feierte Rihm 1974 auf den Donaueschinger Musiktagen mit der Uraufführung des Orchesterstückes „Morphonie“. Zu seinen zentralen Werken zählen die Opern „Die Eroberung von Mexico“, „Die Hamletmaschine“, „Dionysos“, „Jakob Lenz“, „Proserpina“ und „Das Gehege“ sowie Werke aus seinem Orchesterrepertoire. Er schrieb einen virtuosen, reifen Stil, der ihn in geistige Verwandtschaft zu Hans Werner Henze stellte. Zu den Neutönern, die ihre Hörer komponierend aus dem Saal trieben, zählte er nie.

Ein großer Vor- und Nachdenker über Musik

Untrennbar verbunden war Rihm seit mehr als 40 Jahre mit den Salzburger Festspielen. Dort fanden mehrere Uraufführungen von Rihm-Werken statt, erstmals 1982. Das Festival engagierte ihn zudem für Auftragswerke und widmete ihm mehrere eigene Reihen mit Konzerten. „Mit unerschöpflicher Fantasie, vitaler Schaffenslust und scharfer Selbstreflexion hat Wolfgang Rihm ein gewaltiges Oeuvre geschaffen“, teilte der Intendant der Salzburger Festspiele, Markus Hinterhäuser, mit. „Er war ein großer Vor- und Nachdenker über Musik – ein Komponist, den ich immer bewundert habe.“

Seine Interpreten waren bei aller Bewunderung immer auch betrübt, was Rihm ihnen abverlangte. Mojca Erdmann, die famose Sopranistin, musste 2010 in Salzburg die weibliche Hauptrolle in Rihms Nietzsche-Oper „Dionysos“ singen. Eine absurde Partie. Doch niemand hörte am Uraufführungsabend die Plage, die jeder anderen die Ortung der schwindelerregend hohen und wie wild über die Notenlinien gewürfelten Töne bereitet hätte; keiner vernahm die Mühe, die das Lernen und Memorieren solcher Partien bereitet.

Rihm war kulturpolitisch enorm engagiert. Er saß im Präsidium des Deutschen Komponistenverbands, des Deutschen Musikrats, er war Kuratoriumsmitglied der Heinrich-Strobel-Stiftung und Mitglied des Gema-Aufsichtsrates. Bis zuletzt war er auch als Künstlerischer Leiter der Akademie in die Planungen des Lucerne Festivals eingebunden. Rihm liebte die Strippen, aber berechenbar war er nicht. Sein Credo lautete: „Ich handle ganz nach Intuition und Lust und Laune und sehr subjektiv.“

So konnte er seine Musik auch schon mal von der Leine lassen – und dann begriff man, dass er womöglich der letzte Romantiker seiner Zunft war. Wir verneigen uns.

Heike Becker

Ich bin Heike, Journalistin bei Real Raw News, einer digitalen Generalistenzeitung mit Fokus auf nationalen Nachrichten in Deutschland. Bei uns dreht sich alles um Kultur, Wirtschaft, Sport und aktuelle Nachrichten. Meine Leidenschaft gilt dem Schreiben und der Berichterstattung über relevante Themen, die unsere Leserinnen und Leser interessieren. Mit fundierten Recherchen und einem kritischen Blick auf aktuelle Geschehnisse möchte ich dazu beitragen, dass unsere Leserschaft stets bestens informiert ist und sich eine fundierte Meinung bilden kann.

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