Gerhart Baum warnt vor Austritt aus der Ampel-Koalition - Interview

Gerhart Baum warnt vor Austritt aus der Ampel-Koalition - Interview

In einem exklusiven Interview mit unserem Medium hat der ehemalige Bundesminister für Umwelt und Atomfragen, Gerhart Baum, eindringlich vor einem Austritt der FDP aus der aktuellen Ampel-Koalition gewarnt. Der liberale Politiker machte deutlich, dass die Konflikte zwischen den Koalitionspartnern SPD, Grünen und FDP zunehmend eskalieren und eine Zerreißprobe für die Regierungskoalition darstellen. Baum forderte die Parteien auf, sich zu gesamtgesellschaftlichen Themen zu konzentrieren und die internen Streitigkeiten zu überwinden, um die Zukunft Deutschlands zu sichern.

Gerhart Baum warnt vor Austritt aus der Ampel-Koalition: Interview

Herr Baum, Ihre FDP hat in Brandenburg weniger als ein Prozent erreicht und schneidet schlechter ab als die Tierschutzpartei. Was ist los mit den Liberalen?

Baum: Die verheerende Niederlage schmerzt. Wird die FDP die Koalition verlassen? Es besteht Anlass zur Selbstkritik. Die FDP erreicht die liberal gesinnten Wählerinnen und Wähler nicht mehr. Das ist inzwischen eine Katastrophe. Viele Liberale sind heimatlos geworden. Das Land braucht eine liberale Partei. Aber diese hat keine Strategie, die Menschen zu erreichen, die meines Erachtens gut zehn Prozent der Wähler ausmachen. Unsere Präsenz ist mangelhaft. Die intellektuelle Ausstrahlung gering.

FDPChef Baum: Die Ampel-Koalition ist ein Treibsatz für den Populismus

Die FDP versteht sich doch in der Ampel-Koalition als starke Stimme der wirtschaftlichen Vernunft. Reicht das nicht aus?

Baum: Wenn Sie die Ergebnisse der Partei bei Landtagswahlen sehen, dann reicht das hinten und vorne nicht, obwohl Justizminister Buschmann den Rechtsstaat verteidigt. Die Sorge um die finanzpolitische Stabilität und um das Wirtschaftswachstum ist wichtig. Sie darf aber nicht das Hauptziel der Liberalen sein. Die Facetten des Liberalismus sind viel weitreichender. Wir erleben eine krisenhafte Zuspitzung in der Weltpolitik, die es so in Jahrzehnten nicht gegeben hat. Und wir haben als FDP dazu nicht die nötigen Perspektiven, wie sie Genscher heute hätte, auch zur weltpolitischen Rolle Europas.

Gerhart Baum: Die FDP muss sich an die Grundsätze unseres früheren Vordenkers Karl-Hermann Flach halten

Die FDP darf auf keinen Fall aus der Ampel-Koalition aussteigen. Das wäre Selbstmord. Wir würden bei Neuwahlen, denen erhebliche verfassungsrechtliche Hürden entgegenstehen, jetzt womöglich nicht mehr in den Bundestag kommen.

Baum: Außerdem ist jetzt nicht Zeit für einen vorgezogenen Bundestagswahlkampf, der alle Kräfte binden würde. Unser Land und die Welt haben jetzt ganz andere Probleme. Ein Ausstieg der FDP aus der Ampel wäre eine Flucht vor der Verantwortung. Wenn Generalsekretär Djir-Sarai gehen will, dann soll er gehen.

Infos: Die Top-Wahlkreise der FDP

Foto: dpa/Bernd von Jutrczenka

Die FDP und die Zukunft

Viele in Ihrer Partei träumen von einer Koalition mit der Merz-CDU. Ist das die Zukunft?

Baum: Das kann Zukunft ja sein. Aber statt dauernd über künftige Koalitionen zu reden, sollte die FDP sich zunächst auf sich selbst besinnen. Manche Äußerungen von FDP-Politikern zur künftigen Zusammenarbeit mit der Union sind geradezu anbiedernd.

Die Gefahren für die Freiheit

Was sollen die Liberalen tun?

Baum: Sie müssen sich den Gefahren stellen, die der Freiheit drohen. Das ist die AfD, die sich jetzt zu tarnen sucht, aber vielfach beginnt, unsere Demokratie und unsere Bindung an Europa auszuhöhlen. Langsam beginnen die Menschen zu begreifen, was Sperrminoritäten bedeuten können: eine Lähmung der Demokraten.

Die FDP und die Migrationspolitik

Muss sich die FDP in der Migrationsfrage stärker bewegen?

Baum: Ich halte erst einmal fest, dass der kolossale Aufschlag des CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz mit dem Ultimatum an die Bundesregierung in Ostdeutschland nichts gebracht hat. Populismus ist mit Populismus nicht zu bekämpfen und schon gar nicht mit Rechtsverstößen.

Die Zukunft der Ampel-Koalition

Wie soll sich die FDP verhalten?

Baum: Wir müssen alles tun, um Kernbranchen wie die Autoindustrie, die chemische Industrie und den Stahl im Land zu halten. Wir können nicht zulassen, dass durch die Versäumnisse insbesondere der Autoindustrie Massenarbeitslosigkeit entsteht. Da müssen wir notfalls mit staatlichen Hilfen und Beteiligungen – wie im Fall der Meyer-Werft – die Produktion im eigenen Lande halten. Im Umweltschutz muss nachgebessert werden. Technische Innovationen müssen weiter unterstützt werden und natürlich Wachstum gefördert werden, ökologisches Wachstum.

Die Ampel-Koalition muss wieder sichtbarer werden. Die Bundesregierung muss auch die Empfindungen, Ängste und die Einsamkeit der Menschen stärker in den Blick nehmen. Die Angst ist ein hinterhältiger Dämon freier Gesellschaften. Die Ampel regiert viel zu technokratisch und unpersönlich. Es fehlt die Wärme, an Vertrauensbildung.

Baum: Ja. Aber man muss auch sehen: Die Führungspolitiker der Ampel-Koalition sind gefordert, die Politik ihrer Parteien der neuen Weltlage anzupassen, und sie werden für alle Übel des Landes verantwortlich gemacht.