Standortdebatte: Sind wir Deutsche zu pessimistisch? -> Deutsche Standortdebatte: Sind wir zu pessimistisch?

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Standortdebatte: Sind wir Deutsche zu pessimistisch? -> Deutsche Standortdebatte: Sind wir zu pessimistisch?

In Deutschland tobt eine heftige Debatte um den eigenen Standort als Wirtschafts- und Industriestandort. Viele Experten warnen vor einer negativen Entwicklung und prophezeien einen Rückfall in der globalen Wirtschaft. Doch stimmt diese pessimistische Sicht wirklich? Sind wir Deutsche tatsächlich zu skeptisch, wenn es um die Zukunft unseres Landes geht? In diesem Artikel wollen wir die Frage beantworten, ob die ständige Kritik an Deutschland gerechtfertigt ist oder ob wir uns zu sehr auf die negativen Aspekte konzentrieren.

Deutschland ein Land auf dem Abwegen?

Himmelhoch jauchzend – zu Tode betrübt. Diese typisch deutsche Gefühlslage kommt immer dann zum Vorschein, wenn es um das eigene Land geht. Fakten, Einschätzungen, Emotionen fallen negativ aus. Wahlweise ist vom Abstieg, Wohlstandsverlust, Ende, ja sogar von Untergang die Rede.

Gefühlskälte oder Realitätssinn: Sind wir Deutsche zu pessimistisch?

Gefühlskälte oder Realitätssinn: Sind wir Deutsche zu pessimistisch?

Die Wirtschaftsverbände singen ein Lied davon, aber auch Gewerkschaften, Kirchen, Umweltorganisationen, Verbrauchergruppen, Gesundheitsexperten, Bildungsfachleute. Immer in unterschiedlicher Tonlage, aber die Aussichten sind in jedem Fall düster. Sind wir Deutschen zu pessimistisch? Machen wir die Gegenprobe.

Wo ist Deutschland wirklich gut? Es ist erstaunlich, aber es gibt tatsächlich Bereiche, wo unser Land absolut an der Spitze der Welt steht. Das Gesundheitssystem gehört dazu, hier kommt Deutschland nach dem Index der angesehenen britischen Legatum-Stiftung weltweit auf Platz 13. Besser sind lediglich Länder wie Singapur, Japan oder Südkorea, die drei Erstplatzierten.

Deutsche Wissenschaftler zählen weltweit zu den besten, egal ob sie zuhause oder im Ausland tätig sind. Elf Nobelpreisträger aus dem Bereich Naturwissenschaften kamen seit 2000 aus Deutschland, das damit im internationalen Vergleich auf Platz fünf liegt. Im Gesamt-Ranking aller Wissenschaften nach Zitierungen in angesehenen Publikationen belegt die Bundesrepublik sogar den vierten Rang – nach den USA, China und Großbritannien.

Deutschland hat die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt, vor dem bevölkerungsreicheren Japan, wenn auch nur wegen des niedrigen Yen-Kurses. Beim Pro-Kopf-Einkommen steht unser Land in der Spitzengruppe, es belegt Platz 19 weltweit nach Zahlen des Internationalen Währungsfonds. Und da sind Kleinststaaten wie Katar, Macao oder San Marino enthalten.

Deutschland hat die meisten heimlichen Weltmeister bei mittelständischen Unternehmen, eines der bestausgebauten Autobahnsysteme der Welt, Spitzenwerte bei Umweltdaten und eine hohe Lebenserwartung von über 80 Jahren. Kein Zweifel: Das Land ist eines der reichsten und wohlhabendsten der Welt.

Deutschland auf dem richtigen Weg oder steuern wir in den Abgrund?

Zugleich sind die Einkommen nur in wenigen anderen Nationen gleicher verteilt als in Deutschland, jeder dritte Euro wird für Sozialleistungen hier zu Lande ausgegeben. Und dabei wird nirgends weniger gearbeitet – gemessen in Arbeitsstunden pro Jahr – als in Deutschland. Felix Germania. Es dürfte eigentlich keinen Grund zur Klage geben.

Doch der aktuelle Stand des Wohlstandsniveaus sagt wenig aus über die künftige Entwicklung – und auch darüber, ob das Level gehalten werden kann. Das war in der Vergangenheit zwar immer der Fall. Aber die verschiedenen Herausforderungen wie Einheit, Finanzkrise oder Corona-Pandemie hätten auch zu anderen Ergebnissen führen können.

Dürfen wir trotzdem gelassen sein und darauf bauen, dass wir es auch in Zukunft irgendwie schaffen? Der Gedanke ist nicht abwegig, zumal die Substanz der deutschen Wirtschaft und Gesellschaft, die vielen wettbewerbsfähigen mittelständischen Unternehmen, der hohe Grad an Bildung, die gute soziale Absicherung nach wie vor einzigartig in der Welt sind.

Sonst würden auch nicht so viele Wirtschaftsflüchtlinge aus dem globalen Süden den Weg nach Deutschland suchen. Doch die gute derzeitige Lage kann nicht verbergen, dass auch gewaltige Defizite bestehen. Die Infrastruktur ist wirklich marode. So haben Bund, Länder und Kommunen die Investitionen in Straßen und Brücken zwischen 2010 und 2022 nur um 2,6 Prozent gesteigert, während der Güterverkehr per Lastwagen um 14 Prozent zunahm.

Über die nächsten 40 Jahre wird die Produktionskapazität, also das, was unsere Wirtschaft leisten kann, nach Auskunft der fünf Wirtschaftsweisen lediglich um 0,7 Prozent pro Jahr zunehmen, wenn das Land nicht gegensteuert. Zugleich steigen die Belastungen der Beschäftigten. Das Finanzwissenschaftliche Forschungsinstitut schätzt, dass ohne eine Reform der Sozialsystem die Belastung mit Sozialversicherungsbeiträgen bei den Beschäftigten ab 2040 deutlich über 50 Prozent betragen kann.

Die Leuchttürme der deutschen Wirtschaft schwanken bedenklich. Der weltgrößte Chemiekonzern BASF hat seine Ammoniakproduktion komplett stillgelegt, Bayer kämpft mit Milliardenklagen in den USA, Thyssenkrupp und Volkswagen wollen Zehntausende von Beschäftigten entlassen, Varta und die Meyer-Werft sind pleite.

Deutschland liegt digital selbst hinter Ländern des globalen Südens in Afrika und Asien zurück, fast die Hälfte der Kinder in Grundschulen schaffen in bestimmten Regionen nicht mehr die Anforderungen. Die Lese- und Rechenschwächen deutscher Heranwachsender sind nicht zu übersehen.

Kurz: Deutschland ist sicher im weltweiten Vergleich ein fantastisches Land. Das geben auch die Kritiker des Standorts zu. Aber das Land könnte durchaus begründet seine Wettbewerbsfähigkeit verlieren. Darum geht es. Vielleicht ist der typisch deutsche Pessimismus in diesem Fall gar nicht so schlecht. Denn er schärft den Blick für die vorhandenen schweren Mängel. Man darf sich aber auch nicht entmutigen lassen. Man muss die Defizite als Herausforderung sehen und sie mit Optimismus angehen. Hier kann Deutschland von den Amerikanern mit ihrem unbändigen Neuerungswillen lernen.

Dirk Werner

Als Redaktionsleiter von Real Raw News habe ich eine umfangreiche Erfahrung im Journalismus gesammelt. Mit einem starken Fokus auf nationale Nachrichten in Deutschland decke ich als digitaler Generalist Themen wie Kultur, Wirtschaft, Sport und aktuelle Ereignisse ab. Mein Ziel ist es, unseren Lesern stets fundierte und relevante Informationen zu liefern und sie mit spannenden Geschichten zu begeistern. Mit meiner langjährigen Expertise in der Branche stehe ich für eine professionelle und qualitativ hochwertige Berichterstattung.

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