Aufwachsen im Heim - Wie wirkt sich das auf spätere Beziehungen aus?

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Aufwachsen im Heim - Wie wirkt sich das auf spätere Beziehungen aus?

Die Frage, wie das Aufwachsen in einem Heim die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen beeinflusst, ist von großer Bedeutung. Insbesondere die späteren Beziehungen dieser Personen sind von großem Interesse. In Deutschland leben etwa 50.000 Kinder und Jugendliche in stationären Einrichtungen, etwa in Heimen oder Pflegefamilien. Doch wie wirkt sich diese Erfahrung auf die sozialen Kompetenzen und die Fähigkeit, gesunde Beziehungen aufzubauen, aus? In diesem Artikel werden wir uns mit der Frage auseinandersetzen, ob und wie das Aufwachsen in einem Heim die Entwicklung von Beziehungen in der Zukunft beeinflusst.

Ein Leben ohne Elternliebe

Andreas Schmitz (Name geändert) wartete jeden Samstag auf seiner Bank im Eingangsbereich des Kinderheims auf seinen Vater. Als Kind kam ihm diese Bank riesig vor. Er erzählt, dass er immer Mitleid mit anderen Kindern gehabt habe, die nicht von ihren Eltern abgeholt wurden.

„Ich wurde immer abgeholt, wenn Papa das gesagt hat: ,10 Uhr, am Samstag, da hol ich dich ab, mit deiner Schwester’“, so Schmitz. Mehr als 120.000 junge Menschen in Kinder- und Jugendeinrichtungen waren 1962 er und seine Schwester – er sechs Monate alt, seine Schwester ein Jahr älter – in ein Heim in Düsseldorf gekommen.

Ein Wochenendpapa und eine Mutter in einer Klinik

Ein Wochenendpapa und eine Mutter in einer Klinik

Seine Mutter litt an Schizophrenie und kam in eine Klinik für psychische Erkrankungen. Der Vater musste arbeiten. Schmitz kann ihn verstehen: „Ich war noch klein, meine Schwester auch.“ Er habe eben einen „Wochenendpapa“ gehabt. Sie besuchten den Wildpark, machten Ausflüge auf den Fußball- oder Spielplatz, Schmitz erinnert sich an gemeinsames Frühstück und Eisessen im Sommer.

„Es war schon schön zusammen, aber irgendwas hat eben gefehlt.“ Die Trennung von diesem Mann war wie ein kalter Entzug, sagt Schmitz. Seine Mutter lernte er kennen, als er fünf Jahre alt war. „Aber das war nicht meine Mutter. Also es war meine Mutter, aber ich hatte keine Beziehung zu ihr wie zu einer Mutter.“

Viele Kinder leben nicht bei ihren Eltern

Viele Kinder leben nicht bei ihren Eltern

Auch heute wohnen viele Kinder nicht bei ihren Eltern. Im Jahr 2022 wurden laut Statistischem Bundesamt 121.000 junge Menschen in einem Heim und weitere 86.000 in einer Pflegefamilie betreut. 27 Prozent der Kinder waren jünger als zehn Jahre, 48 Prozent jünger als 14 Jahre. In jedem zweiten Fall waren die Eltern alleinerziehend.

Die Gründe, warum Kinder nicht in der Familie aufwachsen, sind vielfältig: Mutter oder Vater fallen aus wegen einer Erkrankung, die Kinder sind per „unbegleitete Einreise“ aus dem Ausland gekommen oder es droht eine Gefährdung des Kindeswohls.

Erinnerungen an das Kinderheim

Erinnerungen an das Kinderheim

Im Heim habe er sehr unter der fehlenden Nähe zu seinen Eltern gelitten, sagt Schmitz heute. Er habe an Albträumen gelitten, gestottert und manchmal eingenässt. Freundschaften seien ihm schwergefallen, auch wenn es im Heim genug Kinder zum Spielen gab.

„Eigentlich hatte ich nur mit meiner Schwester Kontakt. Wenn Jungen mich geärgert haben, habe ich geschrien, meine Schwester kam und hat die vertrieben“, sagt Schmitz.

Körperliche Strafen im Kinderheim

Körperliche Strafen im Kinderheim

Mit der Zeit im Kinderheim verbindet er positive wie negative Erinnerungen. Die Nonnen, die die Kinder in den ersten Jahren in dem Düsseldorfer Heim betreut haben, seien streng und autoritär gewesen. Er berichtet von harten, zum Teil auch von körperlichen Strafen.

Die negativen Erlebnisse hat Schmitz hinter sich gelassen: „Das ärgert mich nicht mehr. Ich bin denen nicht mehr böse.“ Es habe auch gute Momente gegeben. Gerne erinnert er sich an die gemeinsame Gartenarbeit, die Kohl- und Apfelernte, die Erdbeeren, das Gewächshaus und die Zeit im Grünen.

Das Leben nach dem Kinderheim

Das Leben nach dem Kinderheim

Die Zeit im Heim habe Spuren hinterlassen: „Ich habe ein Helfersyndrom“, so Schmitz. Er bringt heute Kleidung und Lebensmittel zu Notschlafstellen, kocht für Bedürftige, sammelt Gummibänder vom Boden auf, damit sich Tauben darin nicht verfangen, und auch bei der Kronkorkensammlung für gute Zwecke engagiert er sich.

Wenn die Krötenwanderung ansteht, hilft er dabei, die Straße zu sperren. Als Schmitz zwölf war, stellte der Vater ihm und seiner Schwester seine neue Frau, ihre Stiefmutter vor. An dem Tag holte er auch die Kinder zurück aus dem Heim nach Hause.

Heute lebt Schmitz alleine mit seinem Kater. Er geht regelmäßig zum Friedhof. „Alle drei Wochen, wenn ich einen kleinen, traurigen Tag habe. Ich setze mich auf die Bank und rede mit Anita oder mit meinem Vater“, sagt er. Auch seine leibliche Mutter und seine Stiefmutter seien dort begraben.

Mit seiner Schwester trifft er sich weiterhin. Einmal in der Woche gehen sie vegan essen. Schmitz sagte heute: „Ich habe meinen Frieden geschlossen.“

Dirk Werner

Als Redaktionsleiter von Real Raw News habe ich eine umfangreiche Erfahrung im Journalismus gesammelt. Mit einem starken Fokus auf nationale Nachrichten in Deutschland decke ich als digitaler Generalist Themen wie Kultur, Wirtschaft, Sport und aktuelle Ereignisse ab. Mein Ziel ist es, unseren Lesern stets fundierte und relevante Informationen zu liefern und sie mit spannenden Geschichten zu begeistern. Mit meiner langjährigen Expertise in der Branche stehe ich für eine professionelle und qualitativ hochwertige Berichterstattung.

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