Wolfsschanze in Polen: Ein Reisezug in ein dunkles Erbe
In Ostpolen liegt ein Ort, an dem die Geschichte noch immer lebendig ist. Die Wolfsschanze, ein ehemaliger Führerhauptquartier des nationalsozialistischen Regimes, ist ein besonderes Reiseziel für alle, die an der dunklen Vergangenheit Europas interessiert sind. Im Jahr 1941 wurde die Wolfsschanze als Hauptquartier für den Überfall auf die Sowjetunion errichtet und diente als Zentrum der Macht für Adolf Hitler und seine Generäle. Heute können Besucher die unterirdischen Bunker und die original erhaltenen Gebäude erkunden und einen Einblick in das schwierige Erbe des Zweiten Weltkriegs gewinnen.
Wolfsschanze: Ein Reisezug in ein dunkles Erbe
Ein flaues Gefühl im Magen macht sich breit, an meinen Armen kriecht langsam Gänsehaut hoch, als ich am Eingang der „Wolfsschanze“ stehe. Hier also, an der Zufahrt zum berüchtigten „Führerhauptquartier“ Adolf Hitlers, hat mein Vater vor 80 Jahren Wache geschoben.
Irgendwann einmal hat er mir erzählt, dass er Feldwebel im „Wachregiment Großdeutschland“ war. Dass er ein- und ausfahrende Nazi-Größen zackig zu grüßen und weniger prominente Besucher streng zu kontrollieren hatte. Viel mehr wusste ich bis zu diesem Tag in der „Wolfsschanze“ nicht über die Kriegsjahre meines Vaters. Wie er sie erlebt, wie er sie überlebt hat.
Selten hat er, wie die meisten Väter der Kriegsgeneration, mit seinem Sohn über die Zeit der Nazi-Diktatur gesprochen – und nur beiläufig hat er vor vielen Jahren beim gemeinsamen Betrachten einer Fernsehdokumentation über das Stauffenberg-Attentat plötzlich gesagt: „Das hab‘ ich damals selber miterlebt. Du kannst dir nicht vorstellen, was da bei uns Wachposten los war.“
Das Führerhauptquartier: Eine Reise durch die Geschichte
Die Überbleibsel der „Wolfsschanze“, Tarnname dieses militärischen Lagezentrums der deutschen Wehrmacht, sprechen Bände. Jahrzehntelang war der riesige Bunkerkomplex in den dichten Wäldern von Ketrzyn (vormals Rastenburg) in Vergessenheit geraten; jetzt endlich wird er als Ort der Mahnung und Erinnerung gepflegt.
Wo die menschlichen Zeitzeugen sterben und rar werden, müssen steinerne Zeugen an ihre Stelle treten: Orte der Opfer wie Auschwitz und Buchenwald; Orte der Täter wie das Reichsparteitagsgelände in Nürnberg; oder ein Ort wie die „Wolfsschanze“, der für Opfer und Täter zugleich steht.
„Man hat hier viel Wert auf eine saubere Aufarbeitung dieser Zeit gelegt“, sagt die Lehrerin Agnieszka Zduniak, die mich durch die Anlage führt.
Polen: Die Wolfsschanze, ein Ort der Erinnerung und Mahnung
Vor allem der Kartenraum der Baracke, in der Claus Schenk Graf von Stauffenberg das Attentat auf Adolf Hitler verübte, ist von der polnischen „Wolfsschanze“-Verwaltung akribisch rekonstruiert worden. Lebensgroß steht die Figur Hitlers vor dem massiven Eichentisch, an dem Stauffenberg seine Aktentasche mit Sprengstoff platziert hatte, ehe er unter einem Vorwand den Kartenraum verließ.
Man kennt das tragische Ende des Attentats: Die Bombe explodierte zwar, doch der schwere Tisch schirmte Hitler weitgehend ab; er wurde nur leicht verletzt. Vier Offiziere, die an der Lagebesprechung teilnahmen, kamen ums Leben. Stauffenberg und drei seiner Mitverschwörer wurden verhaftet und nur wenige Stunden nach dem gescheiterten Attentat in Berlin hingerichtet.
Neben Berlin war die „Wolfsschanze“ über viele Jahre quasi die zweite Hauptstadt des Dritten Reiches. Kurz nach dem Überfall der Wehrmacht auf die Sowjetunion im Juni 1941 ließ Hitler im damals ostpreußischen Masuren sein Kommandozentrum einrichten. 50 Bunker, 70 Unterkünfte für die Wachsoldaten und Hitlers Entourage, zwei Flugplätze, ein Bahnhof und diverse Stellungen für Flugabwehrgeschütze gehörten zum „Führerhauptquartier“, in dem Hitler über 900 Tage gelebt, den Vernichtungsfeldzug gegen die Sowjetunion und die blutige Niederschlagung des Warschauer Aufstands gesteuert hat.
Als russische Truppen 1945 in Ostpreußen vorrückten, gab der Diktator zwar den Befehl, die Anlage dem Erdboden gleichzumachen. Doch wirklich gelungen ist das nicht: Bis auf den heutigen Tag zeugt eine gewaltige Betonwüste vom Größenwahnsinn und der Menschenverachtung der Nazi-Diktatur.
Neun Meter dick waren die Betonwände und -decken des „Führerbunkers“. Immerhin sechs Meter schützten Nazi-Größen wie Göring oder ausländische Staatsgäste wie den italienischen Diktator Mussolini und den Rumänen Antonescu.
Die Erzählungen von Agnieszka Zduniak und ihrer Kollegin Iwona Krzyskowska lassen das Leben darin ein Stück greifbar werden. 340.000 Besucher zählt die „Wolfsschanze“ jedes Jahr. Viele davon kommen aus Deutschland, die meisten aus Neugier und echtem historischem Interesse.
Natürlich sind auch alte und neue Nazis darunter – wie viele, weiß die Verwaltung nicht. Fremdenführerin Iwona Krzyskowska sagt nur: „Das ganze Gelände ist rund um die Uhr geschützt und wird kontrolliert. Wir haben auch überall Kameras. Die Anlage ist keine Gedenkstätte für Neonazis, aber es gibt keine Statistik über solche Besucher.“
Vor zehn Jahren, als das Gelände noch in den Händen eines privaten Pächters war, sah die Sache anders aus. Da durften Besucher mit Panzer- und Kübelwagen durch die „Wolfsschanze“ brettern und in einem Bunker mit MP-Attrappen schießen. Das martialische Treiben war Anwohnern und Lokalpolitikern lange ein Dorn im Auge.
2017 endlich übernahm die polnische Forstbehörde die Anlage und begann mit der Restaurierung. Restaurierungsmaßnahmen sind auch in dem Dorf Sztynort (ehemals Steinort), gut 25 Kilometer von der „Wolfsschanze“ entfernt, in vollem Gange.
Am masurischen Dargin-See liegt der alte, halb verfallene Gutshof der Grafen von Lehndorff – ein Ort mit einer besonderen, fast unglaublichen Geschichte. Als Ordonnanzoffizier in der Heeresgruppe Mitte war auch Heinrich von Lehndorff Teil des militärischen Widerstands um Stauffenberg – und ausgerechnet bei ihm quartierte sich Reichsaußenminister Ribbentrop ein.
Wenn der Hitler-Vertraute zu Gast in der „Wolfsschanze“ war, wohnte er im linken Flügel des Gutshauses, während Graf Lehndorff sich im rechten mit seinen Verschwörer-Kameraden traf. Zwar mühten die sich, ihre konspirativen Gespräche draußen am See, bei Kutschfahrten oder irgendwo im Wald zu führen – doch geheim bleiben konnte ihre Verwicklung in die Attentatspläne nicht.
Schon einen Tag nach dem gescheiterten Anschlag auf Hitler wurde Lehndorff verhaftet, sechs Wochen später wurde er vom berüchtigten Volksgerichtshof zum Tod verurteilt.
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